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Historisch, politisch und touristisch sehenswert

Bericht vom Studienseminar in Riga

Riga. Das vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. mitinitiierte Deutsche Riga-Komitee begeht in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Da der größte Teil des Städtebündnisses aus Nordrhein-Westfalen stammt, bietet der Landesverband seit über 10 Jahren regelmäßig Studienfahrten in die lettische Hauptstadt an. Riga ist dabei nicht nur aus historischer und hochaktueller, politischer Perspektive eindrucksvoll sowie erkenntnisreich, sondern auch aufgrund einiger touristischer Highlights eine Reise wert. Lesen Sie dazu den folgenden Bericht von Ruth Nolden, vom DEPB (Deutschland- und Europapolitischen Bildungswerk NRW), die die Reise diesmal federführend organisiert und geleitet hat.

„Vom 15. bis 22. Juni 2025 bot der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ein Studienseminar in Riga an, organisiert und durchgeführt mit dem DEPB. Thema des Seminars war die Stadt Riga als Tat- und Gedenkort der Shoah. Die Seminarleitung Ruth Nolden wurde dabei exzellent unterstützt von einer Referentin vor Ort, Grazina Bartosević, die die Gruppe souverän durch die unterschiedlichen Erinnerungsorte wie die Wälder von Rumbula und Biķernieki, die Gedenkstätte des Polizeigefängnisses und Arbeitserziehungslagers Salaspils und das ehemalige Rigaer Ghetto führte.

Das Judentum heute in Riga und Lettland war ebenfalls Thema des Seminars: Hierzu sprach die Gruppe mit dem Rabbiner der Synagoge Peitav Shul und wurde von dem Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde in Riga, Gita Umanovska, durch das Museum „Juden in Lettland“ geführt.

Neben dem Schwerpunkt auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Judentums in Riga standen derzeitige politische Entwicklungen im Fokus. Die Teilnehmenden erhielten eine Einführung in die Wirtschaft Lettlands im estnisch-litauischen Vergleich durch Toms Zariņš, Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Riga, und besuchten die Deutsche Botschaft. Ein weiterer spannender Programmpunkt war zudem der Vortrag zu aktuellen Aufgaben von Bundeswehr und NATO in den baltischen Staaten, am Strategic Communication Center of Excellence (StratCom COE) der NATO.

Insgesamt war es für die gesamte Gruppe eine sehr abwechslungsreiche, intensive sowie bewegende Woche.“

Foto und Text: Ruth Nolden (DEPB)

Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch einen Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin vom 26. August bis 1. September 2024 eine Reise nach Litauen und Lettland zu Orten der Shoah im Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung "Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland", die vom 7. April bis 1. September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Autorin war eingeladen worden, an dieser Reise teilzunehmen. Sie stellt uns ihren Bericht für diese Veröffentlichung kostenfrei zur Verfügung.

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen. Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Diese Reise war nicht leicht, manche Eindrücke nur schwer zu verkraften Es war eine Reise auf den Spuren von Massenmorden, die auch emotional belastete, und dennoch eine Reise mit vielen wertvollen Begegnungen mit Menschen, die sich dafür engagieren, die Menschen, die diesen Morden zum Opfer fielen, der Vergessenheit zu entreißen, wo das noch möglich ist, und ihnen dadurch ihre Würde zurückzugeben. Unter diesen Ermordeten, für die niemand das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprach, sind 30 Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Drei davon, die Geschwister Edith, Carl und Ruth-Hanna Stern, waren noch kleine Kinder.

Am 31. Juli 1941 wurde der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring mit der Vorbereitung der Endlösung der Judenfrage beauftragt, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Oktober 1941 ordnete Hitler die Deportation der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Reichsgebiet an. Sie wurden in Transporten von je 1.000 Personen in die Ghettos Lodz in Polen, und Minsk in Belarus, Kaunas und Vilnius in Litauen und das lettische Riga gebracht.

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde der Holocaust über Jahrzehnte verdrängt und tabuisiert. Neue Verbrechen durch das stalinistische Regime überlagerten die Erinnerung an die deutsche Besatzung und die Verfolgung von jüdischen Menschen und anderen Bevölkerungsgruppen. Für die Sowjetunion gab es keine jüdischen Opfer und damit auch keinen Holocaust. Die Ermordeten waren alle Sowjetbürgerinnen und -bürger. Es ging um Heldengedenken, alle Toten galten gleichermaßen als „Opfer des Faschismus“. Die Erinnerung an die massive Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Morden wird den Litauern und Letten auch heute kaum zugemutet.